Kapitel
I: "Der Heizer"
Freiheitsstatue/Regenschirm und Koffer/Schiffsheizer/Leeres Schiff/Hauptkasse/Schubal/Beschwerde/Mann mit dem Bambusstöckchen/Onkel Edward/Josies Geschichte/Verführung/Unrecht und Gerechtigkeit
Freiheitsstatue/Regenschirm und Koffer/Schiffsheizer/Leeres Schiff/Hauptkasse/Schubal/Beschwerde/Mann mit dem Bambusstöckchen/Onkel Edward/Josies Geschichte/Verführung/Unrecht und Gerechtigkeit
Als
der sechzehnjährige Josie Rossmann, der von seinen armen Eltern nach
Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt
und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen
Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon
längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem
plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert
ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien
Lüfte.
"So
hoch", sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht an das
Weggehn dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der
Gepäckträger, die an ihm vorüber zogen, allmählich bis an das
Bordgeländer geschoben.
Ein
junger Mann, mit dem er während der Fahrt flüchtig bekannt geworden
war, sagte im Vorübergehn: "Ja haben Sie denn noch keine Lust
auszusteigen?" "Ich bin doch fertig", sagte Josie ihn
anlachend und hob aus Übermut und weil er ein starker Junge war, den
Koffer auf die Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der
ein wenig seinen Stock schwenkend sich schon mit den andern
entfernte, merkte er, dass er seinen Regenschirm unten im Schiff
vergessen hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr
beglückt schien, um die Freundlichkeit, bei seinem Koffer einen
Augenblick zu warten, überblickte schnell die Situation, um sich bei
der Rückkehr zurechtzufinden und eilte davon. Unten fand er zu
seinem Bedauern einen Gang, der seinen Weg sehr verkürzt hätte, zum
ersten Mal versperrt, was wahrscheinlich mit der Ausschiffung
sämtlicher Passagiere zusammenhing, und musste sich seinen Weg durch
eine Unzahl kleiner Räume, fortwährend abbiegende Korridore, kurze
Treppen, die einander aber immer wieder folgten, ein leeres Zimmer
mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig suchen, bis er sich
tatsächlich, da er diesen Weg nur ein oder zweimal und immer in
größerer Gesellschaft gegangen war, ganz und gar verirrt hatte. In
seiner Ratlosigkeit und da er keinen Menschen traf und nur immerfort
über sich das Scharren der tausend Menschenfüße hörte und von der
Ferne wie einen Hauch das letzte Arbeiten der schon eingestellten
Maschine merkte, fing er ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine
Türe zu schlagen an, bei der er in seinem Herumirren stockte. "Es
ist ja offen", rief es von innen und Josie öffnete mit
ehrlichem Aufatmen die Tür. "Warum schlagen Sie so verrückt
auf die Tür?" fragte ein riesiger Mann, kaum dass er nach Josie
hinsah. Durch irgendeine Oberlichtluke fiel ein trübes, oben im
Schiff längst abgebrauchtes Licht in die klägliche Kabine, in
welcher ein Bett, ein Schrank, ein Sessel und der Mann knapp
nebeneinander wie eingelagert standen. "Ich habe mich verirrt",
sagte Josie, "ich habe es während der Fahrt gar nicht so
bemerkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff." "Ja,
da haben Sie recht", sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte
nicht auf, an dem Schloss eines kleinen Koffers zu hantieren, den er
mit beiden Händen immer wieder zudrückte, um das Einschnappen des
Riegels zu behorchen. "Aber kommen Sie doch herein", sagte
der Mann weiter, "Sie werden doch nicht draußen stehn."
"Störe ich nicht?" fragte Josie. "Ach, wie werden Sie
denn stören." "Sind Sie ein Deutscher?" suchte sich
Josie noch zu versichern, da er viel von den Gefahren gehört hatte,
welche besonders von Irländern den Neuankömmlingen in Amerika
drohen. "Bin ich, bin ich", sagte der Mann. Josie zögerte
noch. Da fasste unversehens der Mann die Türklinke und schob mit der
Türe, die er rasch schloss, Josie zu sich herein. "Ich kann es
nicht leiden, wenn man mir vom Gang hereinschaut", sagte der
Mann, der wieder an seinem Koffer arbeitete. "Da läuft jeder
vorbei und schaut herein, das soll der Zehnte aushalten." "Aber
der Gang ist doch ganz leer", sagte Josie, der unbehaglich an
den Bettpfosten gequetscht dastand. "Ja, jetzt", sagte der
Mann. "Es handelt sich doch um jetzt", dachte Josie, "mit
dem Mann ist schwer zu reden." "Legen Sie sich doch aufs
Bett, da haben Sie mehr Platz", sagte der Mann. Josie kroch so
gut es ging hinein und lachte dabei laut über den ersten,
vergeblichen Versuch sich herüber zu schwingen. Kaum war er aber
drin, rief er: "Um Gotteswillen, ich habe ja ganz meinen Koffer
vergessen." "Wo ist er denn?" "Oben auf dem Deck,
ein Bekannter gibt Acht auf ihn. Wie heißt er nur?" Und er zog
aus einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter für die Reise im
Rockfutter angelegt hatte, eine Visitenkarte. "Butterbaum, Franz
Butterbaum." "Haben Sie den Koffer sehr nötig?"
"Natürlich." "Ja warum haben Sie ihn dann einem
fremden Menschen gegeben?" "Ich hatte meinen Regenschirm
unten vergessen und bin gelaufen ihn zu holen, wollte aber den Koffer
nicht mit schleppen. Dann habe ich mich auch noch verirrt." "Sie
sind allein? Ohne Begleitung?" "Ja, allein." "Ich
sollte mich vielleicht an diesen Mann halten", ging es Josie
durch den Kopf, wo finde ich gleich einen bessern Freund. "Und
jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede
ich gar nicht", und der Mann setzte sich auf den Sessel, als
habe Josies Sache jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. "Ich
glaube aber, der Koffer ist noch nicht verloren." "Glauben
macht selig", sagte der Mann und kratzte sich kräftig in seinem
dunklen, kurzen, dichten Haar. "Auf dem Schiff wechseln mit den
Hafenplätzen auch die Sitten, in Hamburg hätte ihr Butterbaum den
Koffer vielleicht bewacht, hier ist höchstwahrscheinlich schon von
beiden keine Spur mehr." "Da muss ich aber doch gleich
hinauf schauen", sagte Josie und sah sich um, wie er
herauskommen könnte. "Bleiben Sie nur", sagte der Mann und
stieß ihn mit einer Hand gegen die Brust geradezu rau ins Bett
zurück. "Warum denn?" fragte Josie ärgerlich. "Weil
es keinen Sinn hat", sagte der Mann. "In einem kleinen
Weilchen gehe ich auch, dann gehn wir zusammen. Entweder ist der
Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe und Sie können ihm nachweinen
bis an das Ende ihrer Tage oder der Mensch bewacht ihn noch immer,
dann ist er ein Dummkopf und soll weiter wachen oder er ist bloß ein
ehrlicher Mensch und hat den Koffer stehen gelassen, dann werden wir
ihn bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden. Ebenso
auch ihren Regenschirm." "Kennen Sie sich auf dem Schiff
aus?" fragte Josie misstrauisch und es schien ihm, als hätte
der sonst überzeugende Gedanke, dass auf dem leeren Schiff seine
Sachen am besten zu finden sein würden, einen verborgenen Haken.
"Ich bin doch Schiffsheizer", sagte der Mann. "Sie
sind Schiffsheizer", rief Josie freudig, als überstiege das
alle Erwartungen, und sah den Ellbogen aufgestützt den Mann näher
an. "Gerade vor der Kammer, wo ich mit den Slowaken geschlafen
habe, war eine Luke angebracht, durch die man in den Maschinenraum
sehen konnte." "Ja, dort habe ich gearbeitet", sagte
der Heizer. "Ich habe mich immer so für Technik interessiert",
sagte Josie, der in einem bestimmten Gedankengang blieb, "und
ich wäre sicher später Ingenieur geworden, wenn ich nicht nach
Amerika hätte fahren müssen." "Warum haben Sie denn
fahren müssen?" "Ach was!" sagte Josie und warf die
ganze Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer
an, als bitte er ihn selbst für das nicht Eingestandene um seine
Nachsicht. "Es wird schon einen Grund gehabt haben", sagte
der Heizer und man wusste nicht recht, ob er damit die Erzählung
dieses Grundes fordern oder abwehren wolle. "Jetzt könnte ich
auch Heizer werden", sagte Josie, "meinen Eltern ist es
jetzt ganz gleichgültig, was ich werde." "Meine Stelle
wird frei", sagte der Heizer, steckte im Vollbewusstsein dessen
die Hände in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen,
lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs Bett hin, um sie zu
strecken. Josie musste mehr an die Wand rücken. "Sie verlassen
das Schiff?" "Jawohl, wir marschieren heute ab."
"Warum denn? Gefällt es Ihnen hier nicht?" "Ja, das
sind so die Verhältnisse, es entscheidet nicht immer, ob es einem
gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht, es gefällt mir auch
nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht mit Entschlossenheit daran,
Heizer zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden.
Ich also rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren
wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht. Die amerikanischen
Universitäten sind ja unvergleichlich besser." "Das ist ja
möglich", sagte Josie, "aber ich habe ja fast kein Geld
zum Studieren. Ich habe zwar von irgend jemandem gelesen, der bei Tag
in einem Geschäft gearbeitet und in der Nacht studiert hat, bis er
Doktor und ich glaube Bürgermeister wurde. Aber dazu gehört doch
eine große Ausdauer, nicht? Ich fürchte, die fehlt mir. Außerdem
war ich gar kein besonders guter Schüler, der Abschied von der
Schule ist mir wirklich nicht schwer geworden. Und die Schulen hier
sind vielleicht noch strenger. Englisch kann ich fast gar nicht.
Überhaupt ist man hier gegen Fremde so eingenommen, glaube ich."
"Haben Sie das auch schon erfahren? Na, dann ist gut. Dann sind
Sie mein Mann. Sehn Sie, wir sind doch auf einem deutschen Schiff, es
gehört der Hamburg-Amerika-Linie, warum sind wir nicht lauter
Deutsche hier? Warum ist der Obermaschinist ein Rumäne? Er heißt
Schubal. Das ist doch nicht zu glauben. Und dieser Lumpenhund
schindet uns Deutsche auf einem deutschen Schiff. Glauben Sie nicht,"
— ihm ging die Luft aus, er fackelte mit der Hand, — "dass
ich klage um zu klagen. Ich weiß dass Sie keinen Einfluss haben und
selbst ein armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg." Und er
schlug auf den Tisch mehrmals hart mit der Faust und ließ kein Auge
von ihr, während er schlug. "Ich habe doch schon auf so vielen
Schiffen gedient," — und er nannte zwanzig Namen
hintereinander, als sei es ein Wort, Josie wurde ganz wirr, —"und
habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden, war ein Arbeiter nach dem
Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem gleichen Handelssegler war
ich einige Jahre", —er erhob sich, als sei das der Höhepunkt
seines Lebens, —"und hier auf diesem Kasten, wo alles nach
der Schnur eingerichtet ist, wo kein Witz erfordert wird — hier
taug ich nichts, hier steh ich dem Schubal immer im Wege, bin ein
Faulpelz, verdiene herausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn
aus Gnade. Verstehn Sie das? Ich nicht." "Das dürfen Sie
sich nicht gefallen lassen", sagte Josie aufgeregt. Er hatte
fast das Gefühl davon verloren, dass er auf dem unsichern Boden
eines Schiffes an der Küste eines unbekannten Erdteils war, so
heimisch war ihm hier auf dem Bett des Heizers zu Mute. "Waren
Sie schon beim Kapitän? Haben Sie schon bei ihm ihr Recht gesucht?"
"Ach, gehen Sie, gehn Sie lieber weg. Ich will Sie nicht hier
haben. Sie hören nicht zu, was ich sage und geben mir Ratschläge.
Wie soll ich denn zum Kapitän gehn." Und müde setzte sich der
Heizer wieder und legte das Gesicht in beide Hände. "Einen
bessern Rat kann ich ihm nicht geben", sagte sich Josie. Und er
fand überhaupt, dass er lieber seinen Koffer hätte holen sollen,
statt hier Ratschläge zu geben, die ja nur für dumm gehalten
wurden. Als ihm der Vater den Koffer für immer übergeben hatte,
hatte er im Scherz gefragt: "Wie lange wirst du ihn haben?"
Und jetzt war dieser teure Koffer vielleicht schon im Ernst verloren.
Der einzige Trost war noch, dass der Vater von seiner jetzigen Lage
nicht das allergeringste erfahren konnte, selbst wenn er nachforschen
sollte. Nur dass er bis New York gekommen war, konnte die
Schiffsgesellschaft gerade noch sagen. Leid tat es aber Josie, dass
er die Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem er es
beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das Hemd zu wechseln. Da
hatte er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt wo er es gerade am
Beginn seiner Laufbahn nötig haben würde, rein gekleidet
aufzutreten, würde er im schmutzigen Hemd erscheinen müssen. Das
waren schöne Aussichten. Sonst wäre der Verlust des Koffers nicht
gar so arg gewesen, denn der Anzug, den er anhatte, war sogar besser,
als jener im Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug war, den die
Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt
erinnerte er sich auch, dass im Koffer noch ein Stück Veroneser
Salami war, die ihm die Mutter als Extragabe eingepackt hatte, von
der er jedoch nur den kleinsten Teil hatte aufessen können, da er
während der Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war und die Suppe, die
im Zwischendeck zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt hatte.
Jetzt hätte er aber die Wurst gern bei der Hand gehabt, um sie dem
Heizer zu verehren. Denn solche Leute sind leicht gewonnen, wenn man
ihnen irgendeine Kleinigkeit zusteckt, das wusste Josie noch von
seinem Vater her, welcher durch Zigarrenverteilung alle die niedrigen
Angestellten gewann, mit denen er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt
hatte Josie an Verschenkbarem noch sein Geld bei sich und das wollte
er, wenn er schon vielleicht den Koffer verloren haben sollte,
vorläufig nicht anrühren. Wieder kehrten seine Gedanken zum Koffer
zurück und er konnte jetzt wirklich nicht einsehn, warum er den
Koffer während der Fahrt so aufmerksam bewacht hatte, dass ihn die
Wache fast den Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen gleichen
Koffer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich an
die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowaken, der zwei
Schlafstellen links von ihm lag, unausgesetzt im Verdacht gehabt
hatte, dass er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake
hatte nur darauf gelauert, dass Josie endlich von Schwäche befallen
für einen Augenblick ein nicke, damit er den Koffer mit einer langen
Stange, mit der er immer während des Tages spielte oder übte, zu
sich hinüber ziehen könne. Bei Tage sah dieser Slowake genug
unschuldig aus, aber kaum war die Nacht gekommen, erhob er sich von
Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig zu Josies Koffer
herüber. Josie konnte dies ganz deutlich erkennen, denn immer hatte
hier und da jemand mit der Unruhe des Auswanderers ein Lichtchen
angezündet, trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten war, und
versuchte unverständliche Prospekte der Auswanderungsagenturen zu
entziffern. War ein solches Licht in der Nähe, dann konnte Josie ein
wenig eindämmern, war es aber in der Ferne oder war es dunkel, dann
musste er die Augen offen halten. Diese Anstrengung hatte ihn recht
erschöpft. Und nun war sie vielleicht ganz umsonst gewesen. Dieser
Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo treffen sollte.
In
diesem Augenblick ertönten draußen, in weiter Ferne, in die
bisherige, vollkommene Ruhe hinein kleine, kurze Schläge wie von
Kinderfüßen, sie kamen näher, mit verstärktem Klang, und nun war
es ein ruhiger Marsch von Männern. Sie gingen offenbar, wie es in
dem schmalen Gang natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klirren
wie von Waffen. Josie, der schon nahe daran gewesen war, sich im Bett
zu einem von allen Sorgen um Koffer und Slowaken befreiten Schlafe
auszustrecken, schreckte auf und stieß den Heizer an, um ihn endlich
aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit seiner Spitze die Tür
gerade erreicht zu haben. "Das ist die Schiffskapelle",
sagte der Heizer. "Die haben oben gespielt und gehen einpacken.
Jetzt ist alles fertig und wir können gehen. Kommen Sie." Er
fasste Josie bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein
Muttergottesbild von der Wand über dem Bett, stopfte es in seine
Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Josie eilig die
Kabine.
"Jetzt
gehe ich ins Büro und werde den Herren meine Meinung sagen. Es ist
niemand mehr da, man muss keine Rücksichten nehmen",
wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit
Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte
niedertreten, stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das
sie noch rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in
seinen Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie
doch zu schwer.
Sie
kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in
schmutzigen Schürzen — sie begossen sie absichtlich — Geschirr
in großen Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu
sich, legte den Arm um ihre Hüfte und führte sie, die sich immerzu
kokett gegen seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. "Es gibt
jetzt Auszahlung, willst du mit?" fragte er. "Warum soll
ich mich bemühen, bring mir das Geld lieber mit", antwortete
sie, schlüpfte unter dem Arm durch und lief davon. "Wo hast du
denn den schönen Knaben aufgegabelt", rief sie noch, wollte
aber keine Antwort mehr. Man hörte das Lachen aller Mädchen, die
ihre Arbeit unterbrochen hatten.
Sie
gingen aber weiter und kamen an eine Türe, die oben einen kleinen
Vorgiebel hatte, der von kleinen vergoldeten Karyatiden getragen war.
Für eine Schiffseinrichtung sah das recht verschwenderisch aus.
Josie war, wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die
wahrscheinlich während der Fahrt den Passagieren der ersten und
zweiten Klasse vorbehalten war, während jetzt vor der großen
Schiffsreinigung die Trennungstüren ausgehoben waren. Sie waren auch
tatsächlich einigen Männern schon begegnet, die Besen an der
Schulter trugen und den Heizer gegrüßt hatten. Josie staunte über
den großen Betrieb, in seinem Zwischendeck hatte er davon freilich
wenig erfahren. Entlang der Gänge zogen sich auch Drähte
elektrischer Leitungen und eine kleine Glocke hörte man immerfort.
Der
Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man
"Herein" rief, Josie mit einer Handbewegung auf, ohne
Furcht einzutreten. Er trat auch ein, aber blieb an der Türe stehen.
Vor den drei Fenstern des Zimmers sah er die Wellen des Meeres und
bei Betrachtung ihrer fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als
hätte er nicht fünf lange Tage das Meer ununterbrochen gesehn.
Große Schiffe kreuzten gegenseitig ihre Wege und gaben dem
Wellenschlag nur so weit nach, als es ihre Schwere erlaubte. Wenn man
die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor lauter Schwere zu
schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale aber lange Flaggen,
die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber noch hin und
her zappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her erklangen
Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzu weit
vorüber fahrenden Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres
Stahlmantels, waren wie gehätschelt von der sichern, glatten und
doch nicht waagerechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote
konnte man wenigstens von der Tür aus nur in der Ferne beobachten,
wie sie in Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen
einliefen. Hinter alledem aber stand New York und sah Josie mit den
hunderttausend Fenstern seiner Wolkenkratzer an. Ja, in diesem Zimmer
wusste man, wo man war.
An
einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsoffizier
in blauer Schiffsuniform, die zwei andern, Beamte der Hafenbehörde,
in schwarzen amerikanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen hoch
aufgeschichtet verschiedene Dokumente, welche der Offizier zuerst mit
der Feder in der Hand überflog, um sie dann den beiden andern zu
reichen, die bald lasen, bald exzerpierten, bald in ihre Aktentaschen
einlegten, wenn nicht gerade der eine, der fast ununterbrochen ein
kleines Geräusch mit den Zähnen vollführte, seinem Kollegen etwas
in ein Protokoll diktierte.
Am
Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Türe zugewendet,
ein kleinerer Herr, der mit großen Folianten hantierte, die auf
einem starken Bücherbrett in Kopfhöhe vor ihm nebeneinander gereiht
waren. Neben ihm stand eine offene, wenigstens auf den ersten Blick
leere Kasse.
Das
zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick. In der Nähe des
dritten aber standen zwei Herren in halblautem Gespräch. Der eine
lehnte neben dem Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte
mit dem Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach, war dem
Fenster zugewendet und enthüllte hier und da durch eine Bewegung
einen Teil der Ordensreihe auf der Brust des andern. Er war in Zivil
und hatte ein dünnes Bambusstöckchen, das, da er beide Hände an
den Hüften festhielt, auch wie ein Degen abstand.
Josie
hatte nicht viel Zeit alles anzusehn, denn bald trat ein Diener auf
sie zu und fragte den Heizer mit einem Blick, als gehöre er nicht
hierher, was er denn wolle. Der Heizer antwortete so leise als er
gefragt wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassierer reden. Der Diener
lehnte für seinen Teil mit einer Handbewegung diese Bitte ab, ging
aber dennoch auf den Fußspitzen, dem runden Tisch im großen Bogen
ausweichend, zu dem Herrn mit den Folianten. Dieser Herr, das sah man
deutlich, erstarrte geradezu unter den Worten des Dieners, sah sich
aber endlich nach dem Manne um, der ihn zu sprechen wünschte,
fuchtelte dann streng abwehrend gegen den Heizer und der Sicherheit
halber auch gegen den Diener hin. Der Diener kehrte daraufhin zum
Heizer zurück und sagte in einem Tone, als vertraue er ihm etwas an:
"Scheren Sie sich sofort aus dem Zimmer!"
Der
Heizer sah nach dieser Antwort zu Josie hinunter, als sei dieser sein
Herz, dem er stumm seinen Jammer klage. Ohne weitere Besinnung machte
sich Josie los, lief quer durchs Zimmer, dass er sogar leicht an den
Sessel des Offiziers streifte; der Diener lief gebeugt, mit zum
Umfangen bereiten Armen, als jage er ein Ungeziefer, aber Josie war
der erste beim Tisch des Oberkassierers, wo er sich festhielt, für
den Fall, dass der Diener versuchen sollte ihn fortzuziehen.
Natürlich
wurde gleich das ganze Zimmer lebendig. Der Schiffsoffizier am Tisch
war aufgesprungen, die Herren von der Hafenbehörde sahen ruhig aber
aufmerksam zu, die beiden Herren am Fenster waren nebeneinander
getreten, der Diener, der glaubte, er sei dort, wo schon die hohen
Herren Interesse zeigten, nicht mehr am Platze, trat zurück. Der
Heizer an der Türe wartete angespannt auf den Augenblick, bis seine
Hilfe nötig würde. Der Oberkassierer endlich machte in seinem
Lehnsessel eine große Rechtswendung.
Josie
kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken dieser Leute zu
zeigen keine Bedenken hatte, seinen Reisepass hervor, den er statt
weiterer Vorstellung geöffnet auf den Tisch legte. Der Oberkassierer
schien diesen Pass für nebensächlich zu halten, denn er schnippte
ihn mit zwei Fingern beiseite, worauf Josie, als sei diese Formalität
zur Zufriedenheit erledigt, den Pass wieder einsteckte. "Ich
erlaube mir zu sagen", begann er dann, "dass meiner Meinung
nach dem Herrn Heizer Unrecht geschehen ist. Es ist hier ein gewisser
Schubal, der ihm aufsitzt. Er selbst hat schon auf vielen Schiffen,
die er Ihnen alle nennen kann, zur vollständigen Zufriedenheit
gedient, ist fleißig, meint es mit seiner Arbeit gut und es ist
wirklich nicht einzusehn, warum er gerade auf diesem Schiff, wo doch
der Dienst nicht so übermäßig schwer ist, wie z.B. auf
Handelsseglern, dem schlecht entsprechen sollte. Es kann daher nur
Verleumdung sein, die ihn in seinem Vorwärtskommen hindert und ihn
um die Anerkennung bringt, die ihm sonst ganz bestimmt nicht fehlen
würde. Ich habe nur das Allgemeine über diese Sache gesagt, seine
besonderen Beschwerden wird er Ihnen selbst vorbringen." Josie
hatte sich mit dieser Sache an alle Herren gewendet, weil ja
tatsächlich auch alle zuhörten und es viel wahrscheinlicher schien,
dass sich unter allen zusammen ein Gerechter vorfand, als dass dieser
Gerechte gerade der Oberkassierer sein sollte. Aus Schlauheit hatte
außerdem Josie verschwiegen, dass er den Heizer erst so kurze Zeit
kannte. Im Übrigen hätte er noch viel besser gesprochen, wenn er
nicht durch das rote Gesicht des Herrn mit dem Bambusstöckchen
beirrt worden wäre, den er von seinem jetzigen Standort überhaupt
zum ersten Mal erblickte.
"Es
ist alles Wort für Wort richtig", sagte der Heizer, ehe ihn
noch jemand gefragt, ja, ehe man noch überhaupt auf ihn hingesehen
hatte. Diese Übereiltheit des Heizers wäre ein großer Fehler
gewesen, wenn nicht der Herr mit den Orden, der wie es jetzt Josie
aufleuchtete, jedenfalls der Kapitän war, offenbar mit sich bereits
übereingekommen wäre, den Heizer anzuhören. Er streckte nämlich
die Hand aus und rief zum Heizer: "Kommen Sie her!" Mit
einer Stimme, fest, um mit einem Hammer darauf zu schlagen. Jetzt
hing alles vom Benehmen des Heizers ab, denn was die Gerechtigkeit
seiner Sache anbelangte, an der zweifelte Josie nicht.
Glücklicherweise
zeigte sich bei dieser Gelegenheit, dass der Heizer schon viel in der
Welt herum gekommen war. Musterhaft ruhig nahm er aus seinem
Köfferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen Papiere sowie ein
Notizbuch, ging damit, als verstünde sich das von selbst, unter
vollständiger Vernachlässigung des Oberkassierers zum Kapitän und
breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel aus. Dem
Oberkassierer blieb nichts übrig, als sich selbst hin zu bemühen.
"Der Mann ist ein bekannter Querulant", sagte er zur
Erklärung, "er ist mehr in der Kasse als im Maschinenraum. Er
hat Schubal, diesen ruhigen Menschen, ganz zur Verzweiflung gebracht.
Hören Sie einmal!" wandte er sich an den Heizer, "Sie
treiben ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich zu weit. Wie oft hat
man Sie schon aus den Auszahlungsräumen heraus geworfen, wie Sie es
mit ihren ganz, vollständig und ausnahmslos unberechtigten
Forderungen verdienen! Wie oft sind Sie von dort hierher in die
Hauptkasse gelaufen gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt,
dass Schubal Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie
sich als sein Untergebener abzufinden haben! Und jetzt kommen Sie gar
noch her, wenn der Herr Kapitän da ist, schämen sich nicht, sogar
ihn zu belästigen, sondern entblöden sich nicht, als eingelernten
Stimmführer ihrer abgeschmackten Beschuldigungen diesen Kleinen
mitzubringen, den ich überhaupt zum ersten Mal auf dem Schiffe
sehe."
Josie
hielt sich mit Gewalt zurück vor zu springen. Aber da war auch schon
der Kapitän da, welcher sagte: "Hören wir den Mann doch einmal
an. Der Schubal wird mir sowieso mit der Zeit viel zu selbstständig,
womit ich aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will." Das
letztere galt dem Heizer, es war nur natürlich, dass er sich nicht
sofort für ihn einsetzen konnte, aber alles schien auf dem richtigen
Weg. Der Heizer begann seine Erklärungen und überwand sich gleich
am Anfang, indem er den Schubal mit Herr titulierte. Wie freute sich
Josie am verlassenen Schreibtisch des Oberkassierers, wo er eine
Briefwaage immer wieder nieder drückte, vor lauter Vergnügen. Herr
Schubal ist ungerecht. Herr Schubal bevorzugt die Ausländer. Herr
Schubal verwies den Heizer aus dem Maschinenraum und ließ ihn
Klosette reinigen, was doch gewiss nicht des Heizers Sache war.
Einmal wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn Schubal angezweifelt,
die eher scheinbar, als wirklich vorhanden sein sollte. Bei dieser
Stelle starrte Josie mit aller Kraft den Kapitän an, zu tunlich, als
sei er sein Kollege, nur damit er sich durch die etwas ungeschickte
Ausdrucksweise des Heizers nicht zu seinen Ungunsten beeinflussen
lasse. Immerhin erfuhr man aus den vielen Reden nichts Eigentliches
und wenn auch der Kapitän noch immer vor sich hinsah, in den Augen
die Entschlossenheit den Heizer diesmal bis zu Ende anzuhören, so
wurden doch die anderen Herren ungeduldig und die Stimme des Heizers
regierte bald nicht mehr unumschränkt in dem Raum, was manches
befürchten ließ. Als Erster setzte der Herr in Zivil sein
Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte, wenn auch nur leise auf
das Parkett. Die anderen Herren sahen natürlich hier und da hin, die
Herren von der Hafenbehörde, die offenbar pressiert waren, griffen
wieder zu den Akten und begannen, wenn auch noch etwas
geistesabwesend, sie durchzusehn, der Schiffsoffizier rückte seinem
Tische wieder näher und der Oberkassierer, der gewonnenes Spiel zu
haben glaubte, seufzte aus Ironie tief auf. Von der allgemein
eintretenden Zerstreuung schien nur der Diener bewahrt, der von den
Leiden des unter die Großen gestellten armen Mannes einen Teil
mitfühlte und Josie ernst zunickte, als wolle er damit etwas
erklären.
Inzwischen
ging vor den Fenstern das Hafenleben weiter, ein flaches Lastschiff
mit einem Berg von Fässern, die wunderbar verstaut sein mussten,
dass sie nicht ins Rollen kamen, zog vorüber und erzeugte in dem
Zimmer fast Dunkelheit, kleine Motorboote, die Josie jetzt, wenn er
Zeit gehabt hätte, genau hätte ansehen können, rauschten nach den
Zuckungen der Hände eines am Steuer aufrecht stehenden Mannes
schnurgerade dahin, eigentümliche Schwimmkörper tauchten hier und
da selbstständig aus dem ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder
überschwemmt und versanken vor dem erstaunten Blick, Boote der
Ozeandampfer wurden von heiß arbeitenden Matrosen vorwärts gerudert
und waren voll von Passagieren, die darin, so wie man sie hinein
gezwängt hatte, still und erwartungsvoll saßen, wenn es auch manche
nicht unterlassen konnten, die Köpfe nach den wechselnden Szenerien
zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine Unruhe, übertragen von dem
unruhigen Element auf die hilflosen Menschen und ihre Werke.
Aber
alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz genauer Darstellung,
aber was tat der Heizer? Er redete sich allerdings in Schweiß, die
Papiere auf dem Fenster konnte er längst mit seinen zitternden
Händen nicht mehr halten, aus allen Himmelsrichtungen strömten ihm
Klagen über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach jede Einzelne
genügt hätte, diesen Schubal vollständig zu begraben, aber was er
dem Kapitän vorzeigen konnte, war nur ein trauriges
Durcheinanderstrudeln aller insgesamt. Längst schon pfiff der Herr
mit dem Bambusstöckchen schwach zur Decke hinauf, die Herren von der
Hafenbehörde hielten schon den Offizier an ihrem Tisch und machten
keine Miene ihn wieder los zu lassen, der Oberkassierer wurde
sichtlich nur durch die Ruhe des Kapitäns vor dem Dreinfahren
zurückgehalten, wonach es ihn juckte. Der Diener erwartete in
Habachtstellung jeden Augenblick einen auf den Heizer bezüglichen
Befehl seines Kapitäns.
Da
konnte Josie nicht mehr untätig bleiben. Er ging also langsam zu der
Gruppe hin und überlegte im Gehen nur desto schneller, wie er die
Sache möglichst geschickt angreifen könnte. Es war wirklich höchste
Zeit, noch ein kleines Weilchen nur und sie konnten ganz gut beide
aus dem Büro fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter Mann sein und
überdies gerade jetzt, wie es Josie schien, einen besondern Grund
haben, sich als gerechter Vorgesetzter zu zeigen, aber schließlich
war er kein Instrument, das man in Grund und Boden spielen konnte —
und gerade so behandelte ihn der Heizer, allerdings aus seinem
grenzenlos empörten Inneren heraus.
Josie
sagte also zum Heizer: "Sie müssen das einfacher erzählen,
klarer, der Herr Kapitän kann das nicht würdigen, so wie Sie es ihm
erzählen. Kennt er denn alle Maschinisten und Laufburschen bei Namen
oder gar beim Taufnamen, dass er, wenn Sie nur einen solchen Namen
aussprechen, gleich wissen kann, um wen es sich handelt. Ordnen Sie
doch ihre Beschwerden, sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend
die andern, vielleicht wird es dann überhaupt nicht mehr nötig
sein, die meisten auch nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch immer
so klar dargestellt." Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann,
kann man auch hier und da lügen, dachte er zur Entschuldigung.
Wenn
es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch schon zu spät war? Der
Heizer unterbrach sich zwar sofort, als er die bekannte Stimme hörte,
aber mit seinen Augen, die ganz von Tränen, der beleidigten
Mannesehre, der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten
gegenwärtigen Not verdeckt waren, konnte er Josie schon nicht einmal
mehr gut erkennen. Wie sollte er auch jetzt, Josie sah das schweigend
vor dem jetzt Schweigenden wohl ein, wie sollte er auch jetzt
plötzlich seine Redeweise ändern, da es ihm doch schien, als hätte
er alles, was zu sagen war, ohne die geringste Anerkennung schon
vorgebracht und als habe er andererseits noch gar nichts gesagt und
könne doch den Herren jetzt nicht zumuten, noch alles anzuhören.
Und in einem solchen Zeitpunkt kommt noch Josie, sein einziger
Anhänger, daher, will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm aber statt
dessen, dass alles, alles verloren ist.
Wäre
ich früher gekommen, statt aus dem Fenster zu schauen, sagte sich
Josie, senkte vor dem Heizer das Gesicht und schlug die Hände an die
Hosennaht zum Zeichen des Endes jeder Hoffnung.
Aber
der Heizer missverstand das, witterte wohl in Josie irgendwelche
geheimen Vorwürfe gegen sich und in der guten Absicht, sie ihm
auszureden, fing er zur Krönung seiner Taten mit Josie jetzt zu
streiten an. Jetzt, wo doch die Herren am runden Tisch längst empört
über den nutzlosen Lärm waren, der ihre wichtigen Arbeiten störte,
wo der Hauptkassierer allmählich die Geduld des Kapitäns
unverständlich fand und zum sofortigen Ausbruch neigte, wo der
Diener ganz wieder in der Sphäre seiner Herren den Heizer mit wildem
Blicke maß und wo endlich der Herr mit dem Bambusstöckchen, zu
welchem sogar der Kapitän hier und da freundschaftlich hinüber sah,
schon gänzlich abgestumpft gegen den Heizer, ja von ihm angewidert,
ein kleines Notizbuch hervor zog und offenbar mit ganz andern
Angelegenheiten beschäftigt die Augen zwischen dem Notizbuch und
Josie hin und her wandern ließ.
"Ich
weiß ja, ich weiß ja", sagte Josie, der Mühe hatte, den jetzt
gegen ihn gekehrten Schwall des Heizers abzuwehren, trotzdem aber
quer durch allen Streit noch ein Freundeslächeln für ihn übrig
hatte. "Sie haben Recht, Recht, ich habe ja nie daran
gezweifelt." Er hätte ihm gern die herum fahrenden Hände aus
Furcht vor Schlägen gehalten, noch lieber allerdings ihn in einen
Winkel gedrängt, um ihm ein paar leise, beruhigende Worte
zuzuflüstern, die niemand sonst hätte hören müssen. Aber der
Heizer war außer Rand und Band. Josie begann jetzt schon sogar aus
dem Gedanken eine Art Trost zu schöpfen, dass der Heizer im Notfall
mit der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden sieben Männer
bezwingen könne. Allerdings lag auf dem Schreibtisch, wie ein Blick
dorthin lehrte, ein Aufsatz mit viel zu vielen Druckknöpfen der
elektrischen Leitung und eine Hand, einfach auf sie niedergedrückt,
konnte das ganze Schiff mit allen seinen von feindlichen Menschen
gefüllten Gängen rebellisch machen.
Da
trat der doch so uninteressierte Herr mit dem Bambusstöckchen auf
Josie zu und fragte nicht überlaut, aber deutlich über allem
Geschrei des Heizers: "Wie heißen Sie denn eigentlich?" In
diesem Augenblick, als hätte jemand hinter der Tür auf diese
Äußerung des Herrn gewartet, klopfte es. Der Diener sah zum Kapitän
hinüber, dieser nickte. Daher ging der Diener zur Tür und öffnete
sie. Draußen stand in einem alten Kaiserrock ein Mann von mittleren
Proportionen, seinem Aussehen nach nicht eigentlich zur Arbeit an den
Maschinen geeignet und war doch — Schubal. Wenn es Josie nicht an
aller Augen erkannt hätte, die eine gewisse Befriedigung
ausdrückten, von der nicht einmal der Kapitän frei war, er hätte
es zu seinem Schrecken am Heizer sehen müssen, der die Fäuste an
den gestrafften Armen so ballte, als sei diese Ballung das Wichtigste
an ihm, dem er alles, was er an Leben habe, zu opfern bereit sei. Da
steckte jetzt alle seine Kraft, auch die, welche ihn überhaupt
aufrecht erhielt.
Und
da war also der Feind frei und frisch im Festanzug, unter dem Arm ein
Geschäftsbuch, wahrscheinlich die Lohnlisten und Arbeitsausweise des
Heizers, und sah, mit dem ungescheuten Zugeständnis, dass er die
Stimmung jedes einzelnen vor allem feststellen wolle, in aller Augen
der Reihe nach. Die sieben waren auch schon alle seine Freunde, denn
wenn auch der Kapitän früher gewisse Einwände gegen ihn gehabt
oder vielleicht auch nur vorgeschützt hatte, nach dem Leid, das ihm
der Heizer angetan hatte, schien ihm wahrscheinlich an Schubal auch
das Geringste nicht mehr auszusetzen. Gegen einen Mann wie den Heizer
konnte man nicht streng genug verfahren und wenn dem Schubal etwas
vorzuwerfen war, so war es der Umstand, dass er die Widerspenstigkeit
des Heizers im Laufe der Zeiten nicht so weit hatte brechen können,
dass es dieser heute noch gewagt hatte, vor dem Kapitän zu
erscheinen.
Nun
konnte man ja vielleicht noch annehmen, die Gegenüberstellung des
Heizers und Schubals werde die ihr vor einem höheren Forum
zukommende Wirkung auch vor den Menschen nicht verfehlen, denn wenn
sich auch Schubal gut verstellen konnte, er musste es doch durchaus
nicht bis zum Ende aushalten können. Ein kurzes Aufblitzen seiner
Schlechtigkeit sollte genügen, um sie den Herren sichtbar zu machen,
dafür wollte Josie schon sorgen. Er kannte doch schon beiläufig den
Scharfsinn, die Schwächen, die Launen der einzelnen Herren und unter
diesem Gesichtspunkt war die bisher hier verbrachte Zeit nicht
verloren. Wenn nur der Heizer besser auf dem Platze gewesen wäre,
aber der schien vollständig kampfunfähig. Wenn man ihm den Schubal
hingehalten hätte, hätte er wohl dessen gehassten Schädel mit den
Fäusten aufklopfen können, wie eine dünnschalige Nuss. Aber schon
die paar Schritte zu ihm hinzugehn, war er wohl kaum im Stande. Warum
hatte denn Josie das so leicht Vorauszusehende nicht vorausgesehen,
dass Schubal endlich kommen müsse, wenn nicht aus eigenem Antrieb,
so vom Kapitän gerufen. Warum hatte er auf dem Herweg mit dem Heizer
nicht einen genauen Kriegsplan besprochen, statt wie sie es in
Wirklichkeit getan hatten, heillos unvorbereitet einfach dort
einzutreten, wo eine Türe war? Konnte der Heizer überhaupt noch
reden, Ja und Nein sagen, wie es bei dem Kreuzverhör, das allerdings
nur im günstigsten Fall bevorstand, nötig sein würde. Er stand da,
die Beine auseinander gestellt, die Knie ein wenig gebogen, den Kopf
etwas gehoben und die Luft verkehrte durch den offenen Mund, als gebe
es innen keine Lungen mehr, die sie verarbeiteten.
Josie
allerdings fühlte sich so kräftig und bei Verstand, wie er es
vielleicht zu Hause niemals gewesen war. Wenn ihn doch seine Eltern
sehen könnten, wie er im fremden Land vor angesehenen
Persönlichkeiten das Gute verfocht und wenn er es auch noch nicht
zum Siege gebracht hatte, so doch zur letzten Eroberung sich
vollkommen bereit stellte. Würden sie ihre Meinung über ihn
revidieren? Ihn zwischen sich niedersetzen und loben? Ihm einmal in
die ihnen so ergebenen Augen sehn? Unsichere Fragen und
ungeeignetester Augenblick sie zu stellen!
"Ich
komme, weil ich glaube, dass mich der Heizer irgendwelcher
Unredlichkeiten beschuldigt. Ein Mädchen aus der Küche sagte mir,
sie hätte ihn auf dem Wege hierher gesehen. Herr Kapitän und Sie
alle meine Herren, ich bin bereit, jede Beschuldigung an der Hand
meiner Schriften, nötigenfalls durch Aussagen unvoreingenommener und
unbeeinflusster Zeugen, die vor der Türe stehn, zu widerlegen."
So sprach Schubal. Das war allerdings die klare Rede eines Mannes,
und nach der Veränderung in den Mienen der Zuhörer hätte man
glauben können, sie hörten zum ersten Mal nach langer Zeit wieder
menschliche Laute. Sie bemerkten freilich nicht, dass selbst diese
schöne Rede Löcher hatte. Warum war das erste sachliche Wort, das
ihm einfiel, "Unredlichkeiten"? Hätte vielleicht die
Beschuldigung hier einsetzen müssen, statt bei seinen nationalen
Voreingenommenheiten? Ein Mädchen aus der Küche hatte den Heizer
auf dem Weg ins Büro gesehen und Schubal hatte sofort begriffen? War
es nicht das Schuldbewusstsein, das ihm den Verstand schärfte? Und
Zeugen hatte er gleich mitgebracht und nannte sie noch außerdem
unvoreingenommen und unbeeinflusst? Gaunerei, nichts als Gaunerei,
und die Herren duldeten das und anerkannten es noch als richtiges
Benehmen? Warum hatte er zweifellos sehr viel Zeit zwischen der
Meldung des Küchenmädchens und seiner Ankunft hier verstreichen
lassen, doch zu keinem andern Zwecke, als damit der Heizer die Herren
so ermüde, dass sie allmählich ihre klare Urteilskraft verloren
hätten, welche Schubal vor allem zu fürchten hatte? Hatte er, der
sicher schon lange hinter der Tür gestanden war, nicht erst in dem
Augenblick geklopft, als er infolge der nebensächlichen Frage jenes
Herren hoffen durfte, der Heizer sei erledigt?
Alles
war klar und wurde ja auch von Schubal wider Willen so dargeboten,
aber den Herren musste man es anders, noch handgreiflicher sagen. Sie
brauchten Aufrüttelung. Also Josie, rasch, nütze jetzt wenigstens
die Zeit aus, ehe die Zeugen auftreten und alles überschwemmen.
Eben
aber winkte der Kapitän dem Schubal ab, der daraufhin sofort —
denn seine Angelegenheit schien für ein Weilchen verschoben worden
zu sein — beiseite trat und mit dem Diener, der sich ihm gleich
angeschlossen hatte, eine leise Unterhaltung begann, bei der es an
Seitenblicken nach dem Heizer und Josie sowie an den überzeugtesten
Handbewegungen nicht fehlte. Schubal schien so seine nächste große
Rede einzuüben.
"Wollten
Sie nicht den jungen Mann hier etwas fragen, Herr Jakob?" sagte
der Kapitän unter allgemeiner Stille zu dem Herrn mit dem
Bambusstöckchen.
"Allerdings",
sagte dieser mit einer kleinen Neigung für die Aufmerksamkeit
dankend. Und fragte dann Josie nochmals: "Wie heißen Sie
eigentlich?"
Josie,
welcher glaubte, es sei im Interesse der großen Hauptsache gelegen,
wenn dieser Zwischenfall des hartnäckigen Fragers bald erledigt
würde, antwortete kurz, ohne wie es seine Gewohnheit war, durch
Vorlage des Passes sich vorzustellen, den er erst hätte suchen
müssen: "Josie Rossmann."
"Aber",
sagte der mit Jakob Angesprochene und trat zuerst fast ungläubig
lächelnd zurück. Auch der Kapitän, der Oberkassierer, der
Schiffsoffizier, ja sogar der Diener zeigten deutlich ein übermäßiges
Erstaunen wegen Josies Namen. Nur die Herren von der Hafenbehörde
und Schubal verhielten sich gleichgültig.
"Aber",
wiederholte der Herr Jakob und trat mit etwas steifen Schritten auf
Josie zu, "dann bin ich ja dein Onkel Jakob und du bist mein
lieber Neffe. Ahnte ich es doch die ganze Zeit über", sagte er
zum Kapitän hin, ehe er Josie umarmte und küsste, der alles stumm
geschehen ließ.
"Wie
heißen Sie?" fragte Josie, nachdem er sich losgelassen fühlte,
zwar sehr höflich, aber gänzlich ungerührt, und strengte sich an,
die Folgen abzusehen, welche dieses neue Ereignis für den Heizer
haben könne. Vorläufig deutete nichts daraufhin, dass Schubal aus
dieser Sache Nutzen ziehen könnte. "Begreifen Sie doch, junger
Mann, ihr Glück", sagte der Kapitän, der durch die Frage die
Würde der Person des Herrn Jakob verletzt glaubte, der sich zum
Fenster gestellt hatte, offenbar um sein aufgeregtes Gesicht, das er
überdies mit einem Taschentuch betupfte, den andern nicht zeigen zu
müssen. "Es ist der Staatsrat Edward Jakob, der sich Ihnen als
ihr Onkel zu erkennen gegeben hat. Es erwartet Sie nunmehr, doch wohl
ganz gegen ihre bisherigen Erwartungen, eine glänzende Laufbahn.
Versuchen Sie das einzusehen, so gut es im ersten Augenblick geht und
fassen Sie sich."
"Ich
habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika", sagte Josie zum
Kapitän gewendet, "aber wenn ich recht verstanden habe, lautet
bloß der Zuname des Herrn Staatsrat Jakob."
"So
ist es", sagte der Kapitän erwartungsvoll.
"Nun,
mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner Mutter ist, heißt aber
mit dem Taufnamen Jakob, während sein Zuname natürlich gleich jenem
meiner Mutter lauten müsste, welche eine geborene Bendelmayer ist."
"Meine
Herren!" rief der Staatsrat, der von seinem Erholungsposten beim
Fenster munter zurückkehrte, mit Bezug auf Josies Erklärung, aus.
Alle mit Ausnahme der Hafenbeamten brachen in Lachen aus, manche wie
in Rührung, manche undurchdringlich.
"So
lächerlich war das, was ich gesagt habe, doch keineswegs",
dachte Josie.
"Meine
Herren", wiederholte der Staatsrat, "Sie nehmen gegen
meinen und gegen ihren Willen an einer kleinen Familienszene teil und
ich kann deshalb nicht umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da
wie ich glaube nur der Herr Kapitän", diese Erwähnung hatte
eine gegenseitige Verbeugung zur Folge, "vollständig
unterrichtet ist."
Jetzt
muss ich aber wirklich auf jedes Wort Acht geben, sagte sich Josie
und freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, dass in
die Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
"Ich
lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen Aufenthaltes
— das Wort Aufenthalt passt hier allerdings schlecht, für den
amerikanischen Bürger, der ich mit ganzer Seele bin — seit allen
den langen Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten
vollständig abgetrennt, aus Gründen, die erstens nicht hierher
gehören und die zweitens zu erzählen mich wirklich zu sehr
hernehmen würde. Ich fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich
gezwungen sein werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei
sich leider ein offenes Wort über seine Eltern und ihren Anhang
nicht vermeiden lassen wird."
"Er
ist mein Onkel, kein Zweifel", sagte sich Josie und lauschte.
"Wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen."
"Mein
lieber Neffe ist nun von seinen Eltern — sagen wir nur das Wort,
das die Sache auch wirklich bezeichnet — einfach beiseite geschafft
worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich
will durchaus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, dass er
so gestraft wurde — Beschönigen ist nicht amerikanische Art —
aber sein Verschulden ist von der Art, dass dessen einfaches Nennen
schon genug Entschuldigung enthält."
"Das
lässt sich hören", dachte Josie, "aber ich will nicht,
dass er es allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch nicht wissen.
Woher denn? Aber wir werden sehen, er wird schon alles wissen."
"Er
wurde nämlich", fuhr der Onkel fort und stützte sich mit
kleinen Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstöckchen,
wodurch es ihm tatsächlich gelang, der Sache einen Teil der
unnötigen Feierlichkeit zu nehmen, die sie sonst unbedingt gehabt
hätte — "er wurde nämlich von einem Dienstmädchen Johanna
Brummer, einer etwa fünfunddreißig-jährigen Person, verführt. Ich
will mit dem Worte verführt meinen Neffen durchaus nicht kränken,
aber es ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu
finden."
Josie,
der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich hier um,
um den Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden
abzulesen. Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu.
Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines Staatsrates,
bei der ersten Gelegenheit, die sich darbietet. Eher hätte man schon
sagen können, dass der Heizer, wenn auch nur ganz wenig, Josie
anlächelte, was aber erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und
zweitens entschuldbar war, da ja Josie in der Kabine aus dieser
Sache, die jetzt so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte
machen wollen.
"Nun
hat diese Brummer", setzte der Onkel fort, "von meinem
Neffen ein Kind bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe
den Namen Jakob erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit,
welche selbst in den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen
meines Neffen auf das Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben
muss. Glücklicherweise, sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung
der Alimentenzahlung oder sonstigen bis an sie selbst heran
reichenden Skandales — ich kenne, wie ich betonen muss, weder die
dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhältnisse der Eltern, sondern
weiß nur von zwei Bettelbriefen der Eltern aus früherer Zeit, die
ich zwar unbeantwortet gelassen, aber aufgehoben habe, und welche
meine einzige und überdies einseitige briefliche Verbindung mit
ihnen in der ganzen Zeit bedeuten — da also die Eltern zur
Vermeidung der Alimentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen
lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren lassen, mit
unverantwortlich ungenügender Ausrüstung, wie man sieht — wäre
der Junge, wenn man von den gerade noch in Amerika lebendigen Zeichen
und Wundern absieht, auf sich allein angewiesen, wohl schon gleich in
einem Gässchen im Hafen von New York verkommen, wenn nicht jenes
Dienstmädchen in einem an mich gerichteten Brief, der nach langen
Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam, mir die ganze Geschichte,
samt Personenbeschreibung meines Neffen und vernünftigerweise auch
Namensnennung des Schiffes, mitgeteilt hätte. Wenn ich es darauf
angelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte ich wohl
einige Stellen jenes Briefes" — er zog zwei riesige, eng
beschriebene Briefbogen aus der Tasche und schwenkte sie — "hier
vorlesen. Er würde sicher Wirkung machen, da er mit einer etwas
einfachen, wenn auch immer gut gemeinten Schlauheit, und mit viel
Liebe zu dem Vater ihres Kindes geschrieben ist. Aber ich will weder
Sie mehr unterhalten, als es zur Aufklärung nötig ist, noch
vielleicht gar zum Empfang möglicherweise noch bestehende Gefühle
meines Neffen verletzen, der den Brief, wenn er mag, in der Stille
seines ihn schon erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann."
Josie hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge
einer immer mehr zurückgestoßenen Vergangenheit saß sie in ihrer
Küche neben dem Küchenschrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen
stützte. Sie sah ihn an, wenn er hin und wieder in die Küche kam,
um ein Glas zum Wasser trinken für seinen Vater zu holen oder einen
Auftrag seiner Mutter auszurichten. Manchmal schrieb sie in der
vertrackten Stellung seitlich vom Küchenschrank einen Brief und
holte sich die Eingebungen von Josies Gesicht. Manchmal hielt sie die
Augen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu ihr. Manchmal
kniete sie in ihrem engen Zimmerchen neben der Küche und betete zu
einem hölzernen Kreuz, Josie beobachtete sie dann nur mit Scheu, im
Vorübergehn, durch die Spalte der ein wenig geöffneten Tür.
Manchmal jagte sie in der Küche herum und fuhr wie eine Hexe lachend
zurück, wenn Josie ihr in den Weg kam. Manchmal schloss sie die
Küchentüre, wenn Josie eingetreten war und behielt die Klinke
solange in der Hand, bis er wegzugehen verlangte. Manchmal holte sie
Sachen, die er gar nicht haben wollte, und drückte sie ihm
schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie "Josie!"
und führte ihn, der noch über die unerwartete Ansprache staunte,
unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte.
Würgend umarmte sie seinen Hals und während sie ihn bat, sie zu
entkleiden, entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr
Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr lassen und ihn
streicheln und pflegen bis zum Ende der Welt. "Josie, oh, du
mein Josie", rief sie, als sehe sie ihn und bestätige sich
seinen Besitz, während er nicht das Geringste sah und sich
unbehaglich in dem vielen warmen Bettzeug fühlte, das sie eigens für
ihn aufgehäuft zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und
wollte irgendwelche Geheimnisse von ihm erfahren, aber er konnte ihr
keine sagen und sie ärgerte sich im Scherz oder Ernst, schüttelte
ihn, horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin,
wozu sie Josie aber nicht bringen konnte, drückte ihren nackten
Bauch an seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, dass Josie
Kopf und Hals aus den Kissen heraus schüttelte, zwischen seinen
Beinen, stieß dann den Bauch einige Male gegen ihn, ihm war als sei
sie ein Teil seiner selbst und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn
eine entsetzliche Hilfsbedürftigkeit ergriffen. Weinend kam er
endlich nach vielen Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein Bett.
Das war alles gewesen, und doch verstand es der Onkel, daraus eine
große Geschichte zu machen. Und die Köchin hatte also auch an ihn
gedacht und den Onkel von seiner Ankunft verständigt. Das war schön
von ihr gehandelt und er würde es ihr wohl noch einmal vergelten.
"Und
jetzt", rief der Senator, "will ich von dir offen hören,
ob ich dein Onkel bin oder nicht."
"Du
bist mein Onkel", sagte Josie und küsste ihm die Hand und wurde
dafür auf die Stirn geküsst. "Ich bin sehr froh, dass ich dich
getroffen habe, aber du irrst, wenn du glaubst, dass meine Eltern nur
Schlechtes von dir reden. Aber auch abgesehen davon, sind in deiner
Rede einige Fehler enthalten gewesen, d.h. ich meine, es hat sich in
Wirklichkeit nicht alles so zugetragen. Du kannst aber auch wirklich
von hier aus die Dinge nicht so gut beurteilen und ich glaube
außerdem, dass es keinen besondern Schaden bringen wird, wenn die
Herren in Einzelheiten einer Sache, an der ihnen doch wirklich nicht
viel liegen kann, ein wenig unrichtig informiert worden sind."
"Wohl gesprochen", sagte der Senator, führte Josie vor den
sichtlich teilnehmenden Kapitän und sagte: "Habe ich nicht
einen prächtigen Neffen?" "Ich bin glücklich", sagte
der Kapitän mit einer Verbeugung, wie sie nur militärisch geschulte
Leute zu Stande bringen, "ihren Neffen, Herr Senator, kennen
gelernt zu haben. Es ist eine besondere Ehre für mein Schiff, dass
es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben konnte. Aber die
Fahrt im Zwischendeck war wohl sehr arg, ja, wer kann das wissen, wer
da mit geführt wird. Einmal ist z.B. auch der Erstgeborene des
obersten ungarischen Magnaten, der Name und der Grund der Reise ist
mir schon entfallen, in unserem Zwischendeck gefahren. Ich habe es
erst viel später erfahren. Nun, wir tun alles Mögliche, den Leuten
im Zwischendeck die Fahrt möglichst zu erleichtern, viel mehr z.B.
als die amerikanischen Linien, aber eine solche Fahrt zu einem
Vergnügen zu machen, ist uns allerdings noch immer nicht gelungen."
"Es
hat mir nicht geschadet", sagte Josie.
"Es
hat ihm nicht geschadet!" wiederholte laut lachend der Senator.
"Nur
meinen Koffer fürchte ich verloren zu—". Und damit erinnerte
er sich an alles, was geschehen war, und was noch zu tun übrig
blieb, sah sich um und erblickte alle Anwesenden stumm vor Achtung
und Staunen auf ihren frühern Plätzen, die Augen auf ihn gerichtet.
Nur den Hafenbeamten sah man, so weit ihre strengen, selbst
zufriedenen Gesichter einen Einblick gestatteten, das Bedauern an, zu
so ungelegener Zeit gekommen zu sein, und die Taschenuhr, die sie
jetzt vor sich liegen hatten, war ihnen wahrscheinlich wichtiger, als
alles, was im Zimmer vorging und vielleicht noch geschehen konnte.
Der
erste, welcher nach dem Kapitän seine Anteilnahme aussprach, war
merkwürdigerweise der Heizer. "Ich gratuliere Ihnen herzlich",
sagte er und schüttelte Josie die Hand, womit er auch etwas wie
Anerkennung ausdrücken wollte. Als er sich dann mit der gleichen
Ansprache auch an den Senator wenden wollte, trat dieser jedoch
zurück, als überschreite der Heizer damit seine Rechte; der Heizer
ließ auch sofort ab.
Die
Übrigen aber sahen jetzt ein, was zu tun war und bildeten gleich um
Josie und den Senator einen Wirrwarr. So geschah es, dass Josie sogar
eine Gratulation Schubals erhielt, annahm und für sie dankte. Als
Letzte traten in der wieder entstandenen Ruhe die Hafenbeamten hinzu
und sagten zwei englische Worte, was einen lächerlichen Eindruck
machte.
Der
Senator war ganz in der Laune, um das Vergnügen vollständig
auszukosten, nebensächlichere Momente sich und den andern in
Erinnerung zu bringen, was natürlich von allen nicht nur geduldet,
sondern mit Interesse hingenommen wurde. So machte er darauf
aufmerksam, dass er sich die in dem Brief der Köchin erwähnten
hervorstechendsten Erkennungszeichen Josies in sein Notizbuch zu
möglicherweise notwendigem, augenblicklichen Gebrauch eingetragen
hatte. Nun hatte er während des unerträglichen Geschwätzes des
Heizers zu keinem andern Zweck, als um sich abzulenken, das Notizbuch
herausgezogen und die natürlich nicht gerade detektivisch richtigen
Beobachtungen der Köchin mit Josies Aussehen zum Spiel in Verbindung
zu bringen gesucht. "Und so findet man seinen Neffen",
schloss er in einem Tone, als wolle er noch einmal Gratulationen
bekommen.
"Was
wird jetzt dem Heizer geschehn?" fragte Josie, vorbei an der
letzten Erzählung des Onkels. Er glaubte in seiner neuen Stellung
alles, was er auch dachte, aussprechen zu können.
"Dem
Heizer wird geschehen, was er verdient", sagte der Senator, "und
was der Herr Kapitän erachtet. Ich glaube, wir haben von dem Heizer
genug und übergenug, wozu mir jeder der anwesenden Herren sicher
zustimmen wird."
"Darauf
kommt es doch nicht an, bei einer Sache der Gerechtigkeit",
sagte Josie. Er stand zwischen dem Onkel und dem Kapitän und
glaubte, vielleicht durch diese Stellung beeinflusst, die
Entscheidung in der Hand zu haben.
Und
trotzdem schien der Heizer nichts mehr für sich zu hoffen. Die Hände
hielt er halb in den Hosengürtel, der durch seine aufgeregten
Bewegungen mit Streifen eines gemusterten Hemdes zum Vorschein
gekommen war. Das kümmerte ihn nicht im Geringsten, er hatte sein
ganzes Leid geklagt, nun sollte man auch noch die paar Fetzen sehen,
die er am Leibe trug und dann sollte man ihn fort tragen. Er dachte
sich aus, der Diener und Schubal als die zwei hier im Range tiefsten
sollten ihm diese letzte Güte erweisen. Schubal würde dann Ruhe
haben und nicht mehr in Verzweiflung kommen, wie sich der
Oberkassierer ausgedrückt hatte. Der Kapitän würde lauter Rumänen
anstellen können, es würde überall Rumänisch gesprochen werden
und vielleicht würde dann wirklich alles besser gehen. Kein Heizer
würde mehr in der Hauptkasse schwätzen, nur sein letztes Geschwätz
würde man in ziemlich freundlicher Erinnerung behalten, da es, wie
der Senator ausdrücklich erklärt hatte, die mittelbare Veranlassung
zur Erkennung des Neffen gegeben hatte. Dieser Neffe hatte ihm
übrigens vorher öfters zu nützen gesucht und daher für seinen
Dienst bei der Wiedererkennung längst vorher einen mehr als
genügenden Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht ein, jetzt
noch etwas von ihm zu verlangen. Im Übrigen, mochte er auch der
Neffe des Senators sein, ein Kapitän war er noch lange nicht, aber
aus dem Munde des Kapitäns würde schließlich das böse Wort
fallen. — So wie es seiner Meinung entsprach, versuchte auch der
Heizer nicht zu Josie hinzusehen, aber leider blieb in diesem Zimmer
der Feinde kein anderer Ruheort für seine Augen.
"Missverstehe
die Sachlage nicht", sagte der Senator zu Josie, "es
handelt sich vielleicht um eine Sache der Gerechtigkeit, aber
gleichzeitig um eine Sache der Disziplin. Beides und ganz besonders
das letztere unterliegt hier der Beurteilung des Herrn Kapitäns."
"So
ist es", murmelte der Heizer. Wer es merkte und verstand,
lächelte befremdet.
"Wir
aber haben überdies den Herrn Kapitän in seinen Amtsgeschäften,
die sich sicher gerade bei der Ankunft in New York unglaublich
häufen, so sehr schon behindert, dass es höchste Zeit für uns ist,
das Schiff zu verlassen, um nicht zum Überfluss auch noch durch
irgendwelche höchst unnötige Einmischung diese geringfügige
Zänkerei zweier Maschinisten zu einem Ereignis zu machen. Ich
begreife deine Handlungsweise, lieber Neffe, übrigens vollkommen,
aber gerade das gibt mir das Recht, dich eilends von hier
fortzuführen."
"Ich
werde sofort ein Boot für Sie flott machen lassen", sagte der
Kapitän, ohne zum Erstaunen Josies auch nur den kleinsten Einwand
gegen die Worte des Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine
Selbstdemütigung des Onkels angesehen werden konnten. Der
Oberkassierer eilte überstürzt zum Schreibtisch und telefonierte
den Befehl des Kapitäns an den Bootsmeister.
"Die
Zeit drängt schon", sagte sich Josie, "aber ohne alle zu
beleidigen, kann ich nichts tun. Ich kann doch jetzt den Onkel nicht
verlassen, nachdem er mich kaum wiedergefunden hat. Der Kapitän ist
zwar höflich, aber das ist auch alles. Bei der Disziplin hört seine
Höflichkeit auf und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele
gesprochen. Mit Schubal will ich nicht reden, es tut mir sogar leid,
dass ich ihm die Hand gereicht habe. Und alle andern Leute hier sind
Spreu." Und er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer, zog
dessen rechte Hand aus dem Gürtel und hielt sie spielend in der
seinen. "Warum sagst du denn nichts?" fragte er. "Warum
lässt du dir alles gefallen?"
Der
Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche er den Ausdruck, für
das, was er zu sagen habe. Im Übrigen sah er auf seine und Josies
Hand hinab.
"Dir
ist ja Unrecht geschehn, wie keinem auf dem Schiff, das weiß ich
ganz genau." Und Josie zog seine Finger hin und her zwischen den
Fingern des Heizers, der mit glänzenden Augen ringsumher schaute,
als widerfahre ihm eine Wonne, die ihm aber niemand verübeln möge.
"Du
musst dich aber zur Wehr setzen, Ja und Nein sagen, sonst haben ja
die Leute keine Ahnung von der Wahrheit. Du musst mir versprechen,
dass du mir folgen wirst, denn ich selbst, das fürchte ich mit
vielem Grund, werde dir gar nicht mehr helfen können." Und nun
weinte Josie, während er die Hand des Heizers küsste, und nahm die
rissige, fast leblose Hand und drückte sie an seine Wangen, wie
einen Schatz, auf den man verzichten muss. — Da war aber auch schon
der Onkel Senator an seiner Seite und zog ihn, wenn auch nur mit dem
leichtesten Zwange, fort. "Der Heizer scheint dich bezaubert zu
haben", sagte er und sah verständnisinnig über Josies Kopf zum
Kapitän hin. "Du hast dich verlassen gefühlt, da hast du den
Heizer gefunden und bist ihm jetzt dankbar, das ist ja ganz löblich.
Treibe das aber, schon mir zuliebe, nicht zu weit, und lerne deine
Stellung begreifen."
Vor
der Türe entstand ein Lärmen, man hörte Rufe und es war sogar, als
werde jemand brutal gegen die Tür gestoßen.
Ein
Matrose trat ein, etwas verwildert und hatte eine Mädchenschürze
umgebunden. "Es sind Leute draußen", rief er und stieß
einmal mit den Ellbogen herum, als sei er noch im Gedränge. Endlich
fand er seine Besinnung und wollte vor dem Kapitän salutieren, da
bemerkte er die Mädchenschürze, riss sie herunter, warf sie zu
Boden und rief: "Das ist ja ekelhaft, da haben sie mir eine
Mädchenschürze umgebunden." Dann aber klappte er die Hacken
zusammen und salutierte. Jemand versuchte zu lachen, aber der Kapitän
sagte streng: "Das nenne ich eine gute Laune. Wer ist denn
draußen?" "Es sind meine Zeugen", sagte Schubal
vortretend, "ich bitte ergebenst um Entschuldigung für ihr
unpassendes Benehmen. Wenn die Leute die Seefahrt hinter sich haben,
sind sie manchmal wie toll." — "Rufen Sie sie sofort
herein", befahl der Kapitän und gleich sich zum Senator
umwendend sagte er verbindlich, aber rasch: "Haben Sie jetzt die
Güte, verehrter Herr Senator, mit ihrem Herrn Neffen diesem Matrosen
zu folgen, der Sie ins Boot bringen wird. Ich muss wohl nicht erst
sagen, welches Vergnügen und welche Ehre mir das persönliche
Bekanntwerden mit Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich wünsche mir
nur bald Gelegenheit zu haben, mit Ihnen, Herr Senator, unser
unterbrochenes Gespräch über die amerikanischen Flottenverhältnisse
wieder einmal aufnehmen zu können und dann vielleicht neuerdings auf
so angenehme Weise wie heute unterbrochen zu werden." "Vorläufig
genügt mir dieser eine Neffe", sagte der Onkel lachend. "Und
nun nehmen Sie meinen besten Dank für ihre Liebenswürdigkeit und
leben Sie wohl. Es wäre übrigens gar nicht so unmöglich, dass wir"
— er drückte Josie herzlich an sich — "bei unserer nächsten
Europareise vielleicht für längere Zeit zusammenkommen könnten."
"Es würde mich herzlich freuen", sagte der Kapitän. Die
beiden Herren schüttelten einander die Hände, Josie konnte nur noch
stumm und flüchtig seine Hand dem Kapitän reichen, denn dieser war
bereits von den vielleicht fünfzehn Leuten in Anspruch genommen,
welche unter Führung Schubals zwar etwas betroffen, aber doch sehr
laut, einzogen. Der Matrose bat den Senator, vorausgehen zu dürfen,
und teilte dann die Menge für ihn und Josie, die leicht zwischen den
sich verbeugenden Leuten durchkamen. Es schien, dass diese im Übrigen
gutmütigen Leute, den Streit Schubals mit dem Heizer als einen Spaß
auffassten, dessen Lächerlichkeit nicht einmal vor dem Kapitän
aufhöre. Josie bemerkte unter ihnen auch das Küchenmädchen Line,
welche, ihm lustig zuzwinkernd, die vom Matrosen hingeworfene Schürze
umband, denn es war die ihrige.
Weiter
dem Matrosen folgend, verließen sie das Büro und bogen in einen
kleinen Gang ein, der sie nach paar Schritten zu einem Türchen
brachte, von dem aus eine kurze Treppe in das Boot hinab führte,
welches für sie vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr
Führer gleich mit einem einzigen Satz hinunter sprang, erhoben sich
und salutierten. Der Senator gab Josie gerade eine Ermahnung zu
vorsichtigem Hinuntersteigen, als Josie noch auf der obersten Stufe
in heftiges Weinen ausbrach. Der Senator legte die rechte Hand unter
Josies Kinn, hielt ihn fest an sich gepresst und streichelte ihn mit
der linken Hand. So gingen sie langsam Stufe für Stufe hinab und
traten engverbunden ins Boot, wo der Senator für Josie gerade sich
gegenüber einen guten Platz aussuchte. Auf ein Zeichen des Senators
stießen die Matrosen vom Schiffe ab und waren gleich in voller
Arbeit. Kaum waren sie paar Meter vom Schiff entfernt, machte Josie
die unerwartete Entdeckung, dass sie sich gerade auf jener Seite des
Schiffes befanden, wohin die Fenster der Hauptkasse gingen. Alle drei
Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt, welche freundschaftlich
grüßten und winkten, sogar der Onkel dankte und ein Matrose machte
das Kunststück, ohne eigentlich das gleichmäßige Rudern zu
unterbrechen eine Kusshand hinauf zu schicken. Es war wirklich, als
gäbe es keinen Heizer mehr. Josie fasste den Onkel, mit dessen Knien
sich seine fast berührten, genauer ins Auge und es kamen ihm
Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den Heizer werde ersetzen können.
Auch wich der Onkel seinem Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von
denen ihr Boot umschwankt wurde.
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